Gedanken von Jürgen Wagner im April 2018
Was ist Wahrheit ?
Wir fordern unser Kind auf: sag die Wahrheit!
Der Richter verlangt vom Zeugen unter Eid auszusagen:
die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
Aber was ist die Wahrheit?
Mein Ausgangspunkt:
wir leben in einer realen Welt – der Wirklichkeit. (die Begriffe: reale Welt = Realität = Wirklichkeit verwende ich synonym)
Diese Welt ist nicht statisch, sondern ein komplexer Prozeß. Wir Menschen sind Teil dieses Prozesses. Wir haben uns, wie alle anderen Lebewesen, in schrittweiser Anpassung an unsere Umwelt entwickelt (Evolution). Unseren bedeutendsten Entwicklungsvorteil stellt unser Gehirn dar. Unsere Denkfähigkeit macht das Gehirn zu einem besonders wertvollen Werkzeug.
Welche der im Gehirn entwickelten Gedanken halten wir für „wahr“ ?
Gedanken, die
- auf eigenen Beobachtungen beruhen
- auf wissenschaftlichen Untersuchungen beruhen
- wir wiederholt von anderen Menschen hören
- aus „Heiligen Schriften“ oder von „Autoritäten“ stammen
- wir mehr oder weniger überprüft haben
- sich in unserem Leben oder dem unserer Vorfahren bewährt haben
- wir für zuverlässig, brauchbar, hilfreich halten
- logisch richtig sind
- zu anderen „wahren“ Erkenntnissen passen
Solche Gedanken sind für uns wahr, sie sind unsere Wahrheit.
Nach meinem Verständnis ist also :
Wahrheit das Netzwerk der Gedanken, die wir für wahr halten.
Um Mißverständnisse zu vermeiden, halte ich es für wichtig, klar zu unterscheiden zwischen
Wahrheit und Wirklichkeit
Wahrheit ist ein „Bild“ der Wirklichkeit. Wahrheit sind Gedanken im Menschenkopf. Jeder Mensch hat seine eigenen Gedanken und damit auch seine eigene, subjektive Wahrheit.
Was wir hier (im VHS-Kurs) gerade machen, ist : unsere Gedanken ( die wir für wahr halten) miteinander vergleichen. Welche Gedanken erweisen sich als stark, welche Argumente überzeugen? Dabei setzen sich langfristig Gedanken durch, die unsere Lebensmöglichkeiten verbessern. Z.B. meint heute kein vernünftiger Mensch mehr, die Erde sei eine Scheibe. So findet Evolution auch im Bereich der Gedanken statt. Was wir für wahr halten entwickelt sich weiter ( Evolutionäre Erkenntnistheorie)
Aber selbst die Quintessenz aller Gedanken der höchsten Wissenschaft bleibt immer nur ein begrenztes Gedankenbild der realen Welt. Deshalb sprechen Naturwissenschaftler heute oft nicht mehr von „Naturgesetzen“ sondern von Theorien, z.B. der Relativitäts-„Theorie“ , oder der Quanten-„Theorie“ .
Zum Abschluß noch 2 Argumente, warum es die absolute Wahrheit für uns Menschen nicht geben kann:
- Das menschliche Gehirn ist ein nützliches Werkzeug !
Der Zimmermannshammer (ein anderes nützliches Werkzeug) ist entwickelt worden, um Nägel einzuschlagen. Für etwas anderes ist er kaum zu gebrauchen.
Eine moderne Tischlereimaschine ist entwickelt worden, um damit z.B. Fenster oder Möbel zu bauen. Man kann so eine Maschine (Werkzeug) nicht dazu benutzen um z. B. zum Mond zu fliegen.
Das menschliche Gehirn hat sich so entwickelt, wie es sich im zeitlich und räumlich begrenzten Leben unserer Vorfahren als brauchbares Werkzeug erwies.
Und entsprechend begrenzt sind seine Denkmöglichkeiten. Darüber kann man jammern, oder die – trotz der Begrenztheit – phantastischen Möglichkeiten nutzen.
- Die Welt ist kompliziert, komplex, vielschichtig – wunderbar bunt !
Die Welt um uns herum ist so komplex, daß wir jeweils nur einen begrenzten Ausschnitt erkennen können. Selbst wenn die Erkenntnis sehr genau ist, sich vielleicht sogar in mathematischen Formeln beschreiben und in Experimenten überprüfen lässt: sie bleibt bestenfalls eine Teilwahrheit .
z.B. Was ist Licht?
Ein Strahl aus Teilchen oder eine Elektromagnetische Welle?
Beides ! Oder auch – Beides nicht !
Denn jede Beschreibung ist nur ein Bild. Je nachdem wie wir es untersuchen, verhält sich Licht einmal wie ein Teilchenstrahl, das andere mal , als wäre es eine Welle.