Erfahrungen
persönliche Gedanken von Jürgen Wagner im April 2018
Kann ich aus Erfahrungen sichere Schlußfolgerungen ziehen ?
Meine Erfahrungen werden im Langzeitgedächtnis gespeichert.
Sie sind entscheidend für mein Handeln. Unser Gehirn arbeitet zum Großteil nach dem Prinzip: was einmal funktioniert hat, könnte in einer ähnlichen Situation wieder funktionieren. Was oft funktioniert hat gibt mir Handlungssicherheit . Tatsächlich hat sich ja dieses Handlungskonzept im Alltagsleben bewährt.
Also, gibt es etwas daran zu auszusetzen?
Ja — daß wir uns nicht zu sicher sein dürfen !
zB. Ich habe bisher nur weiße Schwäne gesehen.
Kann ich daraus mit Sicherheit schließen, daß alle Schwäne weiß sind ? Nein !
Als “Induktives Denken” bezeichnet man die Denkmethode, aus immer wieder gleichen Einzelereignissen eine Gesetzmäßigkeit abzuleiten:
so war es immer – so wird es immer sein.
Leider ist dieser Schluß nicht logisch richtig und hat daher seit langem
Philosophen zur Verzweiflung gebracht (siehe Karl Popper über D.Hume).
Der andere mögliche Weg zur sicheren “absoluten Wahrheit” scheint das “deduktive Denken” zu sein.
Dabei wird versucht, Axiome (Grundwahrheiten) zu finden, die sicher richtig sind
und darauf seine Gedanken aufzubauen. Alle vermeintlich sicheren Axiome
sind aber irgendwann ins Wanken geraten, und damit auch die darauf errichteten
Gedankengebäude. ( Beispiele ?)
Wie kann man dann zu sicheren Erkenntnissen kommen? Die gibt es nicht !
Alle Erkenntnisse sind relativ, das heißt: bestenfalls zeitlich und räumlich begrenzt gültig , z.B.auch die sog. „Naturgesetze“ !
Sind meine Erfahrungen also nutzlos ? Nein, das meine ich nicht !
Erfahrungen sind unverzichtbare Wissensquellen –
aber sie sind nicht zuverlässig, schon gar nicht auf lange Sicht.
Fast alle Erfahrungen sind nach einer gewissen Zeit überholt. Selbst Erfahrungen, die sich über sehr lange Zeit bewährt haben, können morgen ungültig sein. (Beispiele?). Ich bin also gut beraten, wenn ich nicht stur an Althergebrachtem festhalte, sondern es immer wieder überprüfe, hinterfrage, kritisch betrachte.
Die Welt steht nicht still – ein unbequemer Gedanke !
Ich habe aber die Möglichkeit , meine Gedankenwelt an veränderte Verhältnisse der realen Welt anzupassen : durch kritisches Denken und Offenheit für Neues.
Die beiden Denkweisen sind wie „zwei Seiten einer Medaille“ :
Gut ausbalanciert ergänzen sie sich. Wird eine Seite vernachlässigt, kommt es entweder zu gedanklicher Verknöcherung, Betonkopf oder andererseits zu Flatterhaftigkeit, Konzeptlosigkeit, Zynismus. Zusammen sind beide Denkweisen wertvoll.
Erfahrungswissen ist zum Großteil vorbewußt und unbewußt im Langzeitgedächtnis in der Großhirnrinde abgespeichert. Es enthält die Informationen, mit welchem Handeln wir erfolgreich waren und mit welchem nicht. Es wird weitgehend automatisch eingesetzt, wobei das Gehirn wenig Energie verbraucht.
Das kritische Denken erfordert Bewußtsein , Aufmerksamkeit.
Das können nur bestimmte Areale der Großhirnrinde (der präfrontale Cortex)
und verbrauchen dabei sehr viel Energie.
Kritisches Denken ist anstrengend , aber es lohnt sich !
Beispiele wie induktives Denken oder Lernen aus Erfahrungen
ohne kritisches Gegengewicht zu Fehlern führt:
- Ich habe bisher nur weiße Schwäne gesehen.
Kann ich daraus mit Sicherheit schließen, daß alle Schwäne weiß sind ?
- Solange ich in Schleswig-Holstein lebe ( 45 Jahre) sind Mitte April die Heringe zum Laichen in die Förde und den Kanal gekommen. Kann ich daraus logisch schließen, daß sie das auch in Zukunft tun werden ? Nein! Tatsächlich waren sie im Jahr 2017 schon Ende Februar da.
- Ratten fressen von einem Köder erst vorsichtig mehrmals ein bißchen und warten ab, ob es ihnen bekommt. Wenn nichts passiert, schließen sie daraus : nicht giftig. Leider falsch, denn das Cumarin sammelt sich in ihrem Körper und tötet sie schließlich.
- “Dinge, die ich häufig gemeinsam gesehen habe , gehören zusammen !” ?? Das kann sein, kann aber auch Zufall sein, oder kann nur in bestimmten Situationen gelten (nur im Sommer oder nur auf der Südhalbkugel der Erde, zu bestimmter Tageszeit, bei bestimmter Temperatur) . z.B. Meine Schwester hat die Warzen ihrer Tochter mit Urin beträufelt. Wenig später war die Warze weg. Hat der Urin die Warze weg gemacht ? Logisch richtig wäre diese Schlußfolgerung nicht ! Die zeitliche Nähe kann auch Zufall sein. Warzen verschwinden oft plötzlich und unerwartet. Es könnte auch ein psychischer Mechanismus wirksam geworden sein.
- “ Wir Menschen mit unserem Verstand haben bisher noch jedes Problem
gelöst. Menschen haben schon immer die technische Entwicklung und
Wirtschaftswachstum vorangetrieben – und es geht uns immer besser !
Klimawandel durch menschliches Leben ? Das gab`s noch nie !
Zehntausende Jahre Menschheitsgeschichte sind eine Erfolgsgeschichte !
Weiter so ! “ ???
Das scheint auf den ersten Blick plausibel, ist aber nicht logisch richtig !